Dienstag, 27. Oktober 2015

Was hat die Veränderung in der Kirchenlandschaft mit Schlitzschrauben zu tun?

Ich habe ja im Blog von gestern die These aufgestellt, meine Kollegen wären wenig begeistert von Schlitzschrauben. Heute hatte ich die Gelegenheit diese These zu überprüfen und ich kann bei aller Wissenschaftlichkeit sagen: sie ist absolut wahr! Ich habe nämlich vorgeschlagen Schlitzschrauben zu bestellen, da brach ein Geschrei des Entsetzens los, bloss das nicht, Einzugschnur (Darüber muss ich unbedingt mal berichten) unseretwegen, die hat wenigstens eine Funktion, aber Schlitzschrauben? Die sind wirklich passée. Schade! Dabei sehen die doch so schön edel aus, können sogar mit einem Militärsackmesser eingedreht werden, zur Not geht sogar ein Tafelmesser oder ein Schlüsselanhänger alles kein Problem, (Nur mit dem Akkuschrauber lassen sich die Dinger nicht eindrehen!) versuchen Sie das alles mal mit einer Torx- Schraube!
Wer sich, wie ich hier mit meinen Schlitzschrauben, so verbittert am Alten festkrallt, hat irgend ein Problem, fühlt sich irgendwie vom Neuen bedroht. Vielleicht ist es die Angst, das was man mal gelernt hat, das was einem Halt gibt, zu verlieren. Wer auf alten Zöpfen besteht ist möglicherweise verunsichert, was seine Stellung in seiner aktuellen Umgebung angeht. Wer sich konsequent dem Neuen verschliesst ist möglicherweise der Ansicht, dass man mit dem Althergebrachten nichts falsch machen kann. Dabei ist gerade das der Fehler! Nichts ist so falsch, wie sich konsequent und unreflektiert dem Neuen, den Veränderungen zu verschliessen.

Immer wieder hört man, wenn die Gesellschaft angeblich schwere Zeiten durchlebt, es finde eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte statt. Mit dieser Aussage habe ich mehrfache Probleme: Was ist eigentlich eine "Rückbesinnung"? Eigentlich geht das gar nicht, man kann sich nicht "rückbesinnen", denn die Welt steht ja nicht still, die rotiert auf dem Äquator mit immerhin 1670 Km/h, das ist ziemlich schnell um die Erde auch nur mental mit einer "Rückbesinnung" aufhalten zu wollen. Die Rückbesinnung ist immer eine Interpretation der Zeit in die man sich zurück besinnt. Und weil der Mensch dazu neigt sich ans Schöne zu erinnern und das Schwere zu vergessen, ist eine Rückbesinnung (auch auf Schlitzschrauben) immer eine idealisierte Betrachtungsweise dessen, an das man sich zurückbesinnt. Und jetzt noch die traditionellen Werte: tradere lat. heisst u.A. überliefern berichten. Auch der Begriff traditionell ist eine Frage dessen, was man berichten, überliefern möchte. Traditioneller weise hat man früher seine Notdurft im Stall bei den Tieren verrichtet, traditioneller weise hat man sich mit dem kalten Brunnenwasser gewaschen, traditionellerweise sind ca. 50% aller Frauen an den Folgen einer Geburt gestorben, traditioneller weise hat man mit Holz geheizt, hat man 60 Stunden und mehr die Woche gearbeitet, hatte man keinen Kündigungsschutz, keine Sozialversicherung, kein Frauenstimmrecht, keine Krankenkassen etc. etc.. Wer sich auf traditionelle Werte zurück besinnt, muss auch bereit sein, sich auf die rückständigen unbequemen Aspekte der Vergangenheit zurück zu besinnen. Und dann stellt sich erst noch die Frage, in welche Vergangenheit, in welche Epoche besinnt man sich zurück? In welcher Epoche sind unsere Traditionen verwurzelt? Schliesslich ist noch der Begriff "Wert" oder "Werte". Was ist ein Wert, auch dies ist sehr subjektiv: Für mich sind es z.B. die alten Schlitzschrauben und die alten Paul Baumann Schraubenzieher aus Chrom Vanadium. Dann die guten alten Hausinstallationsvorschriften und die Telephonvorschriften B 191. Für andere sind ganz andere Dinge Werte: effizientes sauberes Arbeiten, oder schnell Feierabend ohne sehr müde zu sein, oder mit den Trainerhosen zur Arbeit zu kommen oder weiss ich was. von diesen drei Begriffen sind die "Werte" die subjektivsten.

Es ist klar geht das alles nicht an der Kirche als Institution vorbei. Wagner-Rau stellt hier schon fast so etwas wie eine Regel auf: Je kirchennäher, und christlich-religiös gestimmter, desto älter, lokaler, traditioneller in den Lebensformen, ängstlicher und krisenbewusster, sowie gegenüber neuen Menschen und neuen Themen abgrenzender ist das [Kirchen]Mitglied. (Wagner-Rau 2012)
Als Electro-Pastor sollte ich wohl als gutes Vorbild voran gehen und morgen mit dem Akkuschrauber frisch, fromm, fröhlich, frei meine Torxschrauben eindrehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen