Donnerstag, 10. Dezember 2015

Sind wir eigentlich Feinmechaniker?

Oben: Betondecke; Unten: Gipswand; Weisser Strich in der
Mitte: Schattenfuge.
Seit heute weiss ich wenigstens, warum die Elektromonteure früher zum SMUV gehört haben, zum schweizerischen Metall- und Uhrenabeitnehmerverband: Von uns wird erwartet, dass wir auf der Decke beim Einlegen, wenn es in Strömen regnet, eisig kalt ist oder die Sonne vom Himmel brennt, mit einem Planlinelal mit einer Abweichung von einem halben Millimeter (macht bei einem Massstab 1:50 bereits 2,5 cm Fehler) so präzise wie Feinmechaniker einlegen können, natürlich ohne Referenzpunkte auf der Schalung, ohne Referenzlinien, ohne genaue Pläne (dort haben wir nochmals einen Fehler von schätzungsweise einem halben Millimeter, nochmals 2,5 cm, also sind wir schon 5 cm daneben), und das natürlich unter Zeitdruck, denn der Eisenleger wartet schon, der Beton ist auch bestellt, dann noch unter Berücksichtigung des Lüftigers, des Sanitärs etc.. Die die Baubranche etwas kennen, mögen sich fragen, warum man auf den Millimeter genau einlegen muss? Tja, gestern hätten wir uns das auch noch gefragt, aber heute wissen wir, wenn man in unseren Plänen mit einer 10 cm dicken Wand rechnet, ist die Wand dank Schattenfuge für uns, nur und ausschliesslich für uns, nur noch 5 cm dick. Aber beim Einlegen haben wir mit einer 10 cm dicken Wand und daher mit einer Toleranz von 5-7 cm gerechnet. In Tat und Wahrheit beträgt die Toleranz praktisch 0 Zero riente, rien, nada, nul.

Das alles ist jetzt sehr ärgerlich, für alle beteiligten. Ändern kann man nichts, denn der Beton ist schon längst trocken und wir können uns darauf freuen, dass heute 23 Paletten Gipsplatten angeliefert wurden, uns also nicht eine Gipswelle, sondern eine Gipswoge bevorsteht und wir uns wohl ziemlich dran halten müssen, um mit den Gipsern Schritt halten zu können, einerseits unsere Rohre und Kästchen in die Wände zu bringen, andererseits um Rohre, die nicht auf der Linie sind umzuspitzen.

Hier wird einmal mehr die Frage nach dem Unterschied von electro zu pastor virulent. Solchen Ärger gibt es kaum in der Kirchgemeinde. Unsere Massstäbe sind felxibler, toleranter. Der Gipser auf dem Bau kann nicht husch einfach eine Wand schieben, damit dann alles wieder stimmt, in der Kirchgemeinde ist das das Normale, dass man es passend macht, kann auch anstrengend sein, zugegeben. Im Pfarramt geht es weder im konkreten noch im übertragenen Sinn um Millimeterarbeit, das ist gut so. Wenn eine besondere Situation - und jede pfarramtliche Situation mit Menschen ist letztlich eine besondere Situation - erfordert besondere Lösungen, besondere Vorgehensweise, kann aber auch besonders aufwändig sein, besonders intensiv sein.

Die Rohre sind voll daneben, wäre die Wand
wirklich 10 cm würden sie knapp passen.
Die Gipsplattenwoge

Unser Aufwand auf dem Bau ist hingegen berechenbar. Irgendwer hat mal ausgerechnet, wie lange wir haben werden die Baustelle fertig zu stellen, irgendwer kennt irgedwelche Zahlen, ich nicht, da bin ich auch froh. Ob die Schalungsschoner neben der Wand sind, lässt sich nachmessen, alles kein Problem. Ob wir am Schluss zu lange gebraucht haben, um den Bau fertig zu stellen, ob sie das Projekt gelohnt hat oder nicht wird sich steinhart berechnen lassen, lässt sich vermutlich jetzt schon steinhart berechnen. 
Im Pfarramt geht das nicht. Lohnt sich mein Aufwand, den ich treibe? Sind schlussendlich die Mittel richtig eingesetzt, die ich mit Lohn, Lohnnebenkosten, Material, Versicherungen etc. etc. etc beanspruche? Lohnt es sich in die Geschichte eines Menschen so viel und in die Geschichte eines anderen doppelt so viel Zeit zu investieren? Auch die Gesellschaft stellt sich die Frage, lohnen sich gesellschaftlich gesehen die Kirchen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement, die Frage wurde untersucht gerechnet mit und ohne Schattenfuge und die Kirche lohnt sich gesellschaftlich gesehen, das ist erwiesen. Aber lohnt sich die Kirche für den Kirchensteuerzahler? Woran würde er merken, dass sie sich gelohnt hat? Und was jeder einzelne auf diese Frage antwortet und was jeder einzelne von der Kirche und vom Pfarrer erwartet ist noch unbestimmbarer, unbemessenbarer als unsere Betondecken und Gipswände.
Doch eines haben unsere Baustelle und die Kirche absolut gemeinsam: Das Mass zu finden, ist unglaublich schwierig.

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