Nach drei Monaten Arbeit auf dem Bau habe ich Mengen von Material zu verarbeiten. Material, damit meine ich nicht mehr Elektromaterial, sondern Erinnerungen, Eindrücke, Erfahrungen, Begegnungen, Emotionen und so weiter. Nun muss ich das alles irgendwie ordnen, in eine Form bringen mit der Arbeit als Pfarrer vernetzen. Neben all den Erinnerungen und Erfahrungen habe ich auch analog Photos gemacht, Eindrücke von der Baustelle. Was sich mit dem Entwickeln der Photos auf sich hat, werde ich ein ander Mal hier im Blog erklären, wenn ich im Labor gewesen bin und einige digitale Photos gemacht habe.
An Hand eines Motivs aus meinen Impressionen von der Baustelle möchte ich heute darüber nachdenken, was geschieht, mit dem Störenden an unserem Menschsein:

Eines meiner eindrücklichen Bilder ist der Kranhaken, den ich von der Grüsttreppe fotografierte, als der Maurer eine Etage tiefer Schalungstalfelresten in eine Mulde pfefferte. Frohgemut, dass ich die Foto meines Lebens gemacht habe, stieg ich die Treppe hinunter, nach Weihnachten entwickelte ich den Film, vorgestern die Photo doch oh Schreck, oh Graus, was ist das für eine hässliche Hütte gleich hinter dem schönen Kranhaken? mir war sofort klar, die Hütte muss weg, die stört, die gehört dort nicht hin, obwohl das hässliche Teil nun mal dort steht. Beim ersten Versuch habe ich die hässliche Hütte etwas abgetönt, deshalb hat sie auch in der Mitte nun auf dem Bild einen so hässlichen Schatten. Doch das Ergebnis gefiel mir nicht, zumal das Gerüst auf der linken Seiten auch nur so musig zu sehen ist.

Neuer Versuch. Ich versuchte mit zwei Kellen diese hässlichen Hütten wegzumachen, doch auch dieses Ergebnis befriedigt nicht wirklich, die Hütte im Hintergrund wirkt nur noch hässlicher, doch eines müssen Sie zugeben, der Kranhaken kommt besser zur Geltung.
Beim nächsten Versuch habe ich meine beiden Töchter beigezogen, ich habe die grosse Hütte abgedeckt die ältere Tochter hat die kleine Hütte abgedeckt und die kleine Tochter hat die Zeitschaltuhr des Belichtungsgerät bedient. Nicht schlecht, würde ich meinen, dass auch ein Teil des Kranhaken abgedeckt wurde, bezeichnen wir hier als Kollateralschaden. Aber jä - das Bild ist doch auch nicht das, was ich mir vorgestellt habe, also neuer Versuch unter Mitwirkung meiner Frau.
Schliesslich bin ich zur Radikalkur über gegangen. Ich habe die hässliche Hütte kurzerhand einfach abgedeckt, ist ja auch das einzige, was man sinnvollerweise damit machen kann. Doch das Ergebnis kann, gelinde gesagt, als ernüchternd beschrieben werden.
Voller Verzweiflung frage ich also meine Frau, was sie denn tun würde. Ich kann nicht auf den Haken verzichten, weil er Teil eines Ensembles aus vier Bildern ist. Meine Frau hat mir folgendes vorgeschlagen:
Stehe zu der hässlichen Hütte, sie ist hässlich, sie bleibt hässlich, diese Hässlichkeit ist Teil des Bildes, auch wenn sie den Kranhaken stört, der ja zugegebenerweise auch nicht eine Augenweide ist.
Ich reflektiere meine Erlebnisse als Elektromonteur und als Pfarrer. Die Geschichte mit den Fotos zeigt mir einmal meh,r wie fest der Mensch versucht seine Erinnerungen, seine Möglichkeiten, seine Potentiale zu schönen, so darzustellen, dass sie möglichst gut aussehen. Kaum jemand spricht von sich aus z.B. an einem Bewerbungsgespräch von seinen absoluten Schwächen, von seinen Unzulänglichkeiten. Ein jeder ist darauf bedacht sich möglichst immer von der Sonnenseite zu zeigen.
Zurück zur Hütte im Bild: ist es nicht gerade diese hässliche Hütte, die das Bild ausmacht, gewissermassen schön machen? Macht nicht gerade die Spannung, die Härte, die Dominanz der Hütte in Konflikt mit dem Kranhaken das Bild interessant? Auf uns Menschen bezogen: Sind nicht die Menschen die Interessantesten, die auch um ihre Schwächen und Fehler wissen, darüber sprechen können und diese in ihrem Leben integrieren?